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«Die Morgenlandfahrt», Hermann Hesse

Den Freunden Hans C. Bodmer und seiner Frau Elsy gewidmet

I

 

Da es mir beschieden war, etwas grosses mitzuerleben, da ich das Glück gehabt habe, dem „Bunde“ anzugehören und einer der Teilnehmer jener einzigartigen Reise sein zu dürfen, deren Wunder damals wie ein Meteor aufstrahlte und die nachher so wunderlich rasch in Vergessenheit, ja in Verruf geriet, habe ich mich entschlossen, den Versuch einer kurzen Beschreibung dieser unerhörten Reise zu wagen: einer Reise, wie sie seit den Tagen Hüons und des Rasenden Roland von Menschen nicht mehr gewagt worden war bis in unsre merkwürdige Zeit: die trübe, verzweifelte und doch so fruchtbare Zeit nach dem großen Kriege. Über die Schwierigkeiten meines Versuches glaube ich mich keiner Täuschung hinzugeben; sie sind sehr groß, und sie sind nicht nur subjektiver Natur, obwohl schon diese beträchtlich genug wären.

Denn nicht nur besitze ich heute aus der Zeit der Reise keinerlei Erinnerungsstücke mehr, keine Andenken, keine Dokumente, keine Tagebücher — nein, es ist mir in den seither verflossenen schweren Jahren des Mißgeschicks, der Krankheit und tiefen Heimsuchung auch ein großer Teil der Erinnerungen verlorengegangen; infolge von Schicksalsschlägen und immer neuen Entmutigungen ist sowohl mein Gedächtnis selbst wie auch mein Vertrauen in dies früher so treue Gedächtnis beschämend schwach geworden. Aber, von diesen rein persönlichen Nöten abgesehen, sind mir zum Teil auch durch mein einstiges Bundesgelübde die Hände gebunden; denn dies Gelübde erlaubt mir zwar die schrankenlose Mitteilung meiner persönlichen Erlebnisse, verbietet aber jede Enthüllung über das Bundesgeheimnis selbst. Und wenn auch seit Jahr und Tag der Bund keine sichtbare Existenz mehr zu haben scheint und ich keines seiner Mitglieder wiedergesehen habe, so würde doch keine Verlockung und keine Bedrohung der Welt mich dazu bringen können, das Gelübde zu brechen. Im Gegenteil: würde ich heut oder morgen vor ein Kriegsgericht und vor die Wahl gestellt, mich töten zu lassen oder das Geheimnis des Bundes zu verraten, o mit welch glühender Freude würde ich mein Bundesgelübde durch den Tod besiegeln!

Es sei hier nebenbei bemerkt: Seit dem Reisetagebuch des Grafen Keyserling sind mehrmals Bücher erschienen, deren Autoren teils unbewußt, teils aber auch mit Absicht den Anschein erweckten, als seien sie Bundesbrüder und hätten an der Morgenlandreise teilgenommen. Sogar die abenteuerlichen Reiseberichte von Ossendowski gerieten gelegentlich in diesen ehrenden Verdacht. Aber sie alle haben mit dem Bunde und mit unsrer Morgenlandfahrt nicht das mindeste zu tun, oder doch im besten Falle nicht mehr, als die Prediger kleiner pietistischer Sekten mit dem Heiland, den Aposteln und dem Heiligen Geiste zu tun haben, auf deren spezielle Gunst und Mitgliedschaft sie sich berufen. Mag Graf Keyserling wirklich mit Komfort die Welt umschifft und mag Ossendowski wirklich die von ihm beschriebenen Länder durchquert haben, so waren ihre Reisen doch keine Wunder und haben keine neuen Gebiete entdeckt, während gewisse Etappen unsrer Morgenlandfahrt, indem sie auf alle die banalen Hilfsmittel moderner Dutzendreisen, auf Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telegraph, Auto, Flugzeug und so weiter verzichteten, wirklich ins Heroische und Magische durchgestoßen sind. Es war ja damals kurz nach dem Weltkriege, und namentlich für das Denken der besiegten Völker, ein außerordentlicher Zustand von Unwirklichkeit, von Bereitschaft für das Überwirkliche gegeben, wenn auch nur an ganz wenigen Punkten tatsächlich Grenzen durchbrochen und Vorstöße in das Reich einer kommenden Psychokratie getan wurden. Unsre Fahrt damals durch das Mondmeer nach Famagusta, unter der Führung Albertus des Großen, oder etwa dieEntdeckung der Schmetterlingsinsel, zwölf Linien hinter Zipangu, oder die erhabene Bundesfeier am Grabe Rüdigers — das sind Taten und Erlebnisse, wie sie Menschen unserer Zeit und Zone nur dies eine Mal vergönnt waren.

Schon hier, wie ich sehe, stoße ich auf eins der größten Hindernisse meines Berichtes. Es wäre die Ebene, auf welcher unsere Taten sich vollzogen, es wäre die seelische Erlebnisschicht, welcher sie angehören, dem Leser verhältnismäßig leicht zugänglich zu machen, wenn es erlaubt wäre, ihn ins Innere des Bundesgeheimnisses zu führen. So aber wird vieles, wird vielleicht alles ihm unglaublich scheinen und unfaßbar bleiben. Allein das Paradoxe muß immer wieder gewagt, das an sich Unmögliche muß immer neu unternommen werden. Ich halte es mit Siddhartha, unsrem weisen Freund aus dem Osten, der einmal gesagt hat:

„Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch — ja, und auch das ist gut, auch damit bin ich einverstanden, daß das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem ändern immer wie Narrheit klingt.“

Auch haben schon vor Jahrhunderten die Mitglieder und die Geschichtsschreiber unsres Bundes diese Schwierigkeit gekannt und ihr tapfer die Stirn geboten, und einer von ihnen, einer der Größten, hat sich in einem unsterblichen Verse so darüber geäußert:

Diese „Unerfahrenheit“ hat es denn auch zustande gebracht, daß heute in der Öffentlichkeit unsre Reise, welche einst Tausende bis zur Ekstase erregt hat, nicht nur vergessen, sondern daß ihr Gedächtnis mit einem richtigen Tabu belegt ist. Nun, die Geschichte ist ja reich an Beispielen ähnlicher Art.

Die ganze Weltgeschichte scheint mir oft nichts andres zu sein als ein Bilderbuch, das die heftigste und blindeste Sehnsucht der Menschen spiegelt: die Sehnsucht nach Vergessen. Tilgt da nicht jede Generation mit den Mitteln des Verbotes, des Totschweigens, des Spottes immer gerade das aus, was der vorigen Generation das Wichtigste schien?

Haben wir es nicht eben erst erlebt, daß ein ungeheurer, jahrelanger, grauenhafter Krieg von ganzen Völkern jahrelang vergessen, geleugnet, verdrängt und weggezaubert worden ist und daß diese Völker jetzt, wo sie sich ein klein wenig ausgeruht haben, mit Hilfe spannender Kriegsromane sich dessen wieder zu erinnern suchen, was sie vor einigen Jahren selber angerichtet und erlitten haben? So wird auch für die Taten und Leiden unsres Bundes, welche heut vergessen oder der Welt ein Gelächter sind, der Tag der Wiederentdeckung kommen, und meine Aufzeichnungen sollen dazu ein weniges beitragen.

Zu den Besonderheiten der Morgenlandfahrt gehörte unter ändern auch diese, daß zwar der Bund mit dieser Reise ganz bestimmte, sehr hohe Ziele anstrebte (sie gehören der Zone des Geheimnisses an, sind also nicht mitteilbar), daß aber jeder einzelne Teilnehmer auch seine privaten Reiseziele haben konnte, ja haben mußte, denn es wurde keiner mitgenommen, den nicht solche privaten Ziele antrieben, und jeder einzelne von uns, während er gemeinsamen Idealen und Zielen zu folgen und unter einer gemeinsamen Fahne zu kämpfen schien, trug als innerste Kraft und letzten Trost seinen eigenen, törichten Kindertraum im Herzen mit sich. Was nun mein eigenes Reiseziel betrifft, um das ich vor meiner Aufnahme in den Bund vom Hohen Stuhl befragt wurde, so war es ein einfaches, während manche andre Bundesbrüder sich Ziele gesetzt hatten, welche ich zwar wohl zu achten, nicht aber ganz zu begreifen vermochte.

Einer zum Beispiel war Schatzsucher und hatte nichts andres im Sinn als die Gewinnung eines hohen Schatzes, den er „Tao“ nannte, ein andrer aber hatte sich gar in den Kopf gesetzt, eine gewisse Schlange fangen zu wollen, welcher er Zauberkräfte zuschrieb und die er Kundalini nannte. Mein eigenes Reise- und Lebensziel hingegen, das mir schon seit den späteren Knabenjahren in Träumen vorgeschwebt hatte, war dieses: die schöne Prinzessin Fatme zu sehen und womöglich ihre Liebe zu gewinnen.

Zu jener Zeit, da ich dem Bunde beitreten zu dürfen das Glück hatte, nämlich unmittelbar nach dem Ende des großen Krieges, war unser Land voll von Heilanden, Propheten und Jüngerschaften, von Ahnungen des Weltendes oder Hoffnungen auf den Anbruch eines Dritten Reiches. Erschüttert vom Kriege, verzweifelt durch Not und Hunger, tief enttäuscht durch die anscheinende Nutzlosigkeit all der geleisteten Opfer an Blut und Gut, war unser Volk damals manchen Hirngespinsten, aber auch manchen echten Erhebungen der Seele zugänglich, es gab bacchantische Tanzgemeinden und wiedertäuferische Kampfgruppen, es gab dies und jenes, was nach dem Jenseits und nach dem Wunder hinzuweisen schien; auch eine Hinneigung zu indischen, altpersischen und anderen östlichen Geheimnissen und Kulten war damals weitverbreitet, und all dies hat dazu geführt, daß auch unser Bund, der uralte, den meisten als eines der vielen hastig aufgeblühten Modegewächse erschien und daß er nach einigen Jahren mit ihnen teils in Vergessenheit, teils in Verachtung und Verruf geraten ist. Die Treugebliebenen unter seinen Jüngern kann dies nicht anfechten.

Wie wohl erinnere ich mich der Stunde, da ich nach Ablauf meines Probejahres mich dem Hohen Stuhl vorstellte, vom Sprecher in den Plan der Morgenlandfahrt eingeweiht und, als ich mich diesem Plane mit Leib und Leben zur Verfügung stellte, freundlich danach befragt wurde, was es denn sei, das ich mir von dieser Fahrt ins Märchenreich verspreche! Errötend zwar, aber freimütig und ohne Zögern bekannte ich mich vor den versammelten Oberen zu meinem Herzenswunsche, die Prinzessin Fatme mit meinen Augen sehen zu dürfen. Und der Sprecher, die Gebärde der Verhüllten dolmetschend, legte mir gütig die Hand auf den Scheitel, segnete mich und sprach die Formel, welche meine Aufnahme als Bruder des Bundes bekräftigte. „Anima pia“, redete er mich an und ermahnte mich zur Treue im Glauben, zum Heldenmut in Gefahr, zur brüderlichen Liebe. Während des Probejahres wohlvorbereitet, leistete ich den Eid, schwor der Welt und ihrem Irrglauben ab und bekam den Bundesring an den Finger gesteckt, mit jenen Ringworten aus einem der schönsten Kapitel unsrer Bundesgeschichte: